Amboss-Mag:
Tourbericht 23.-25.11.2001


Gegen 9.00 am Freitag morgen begann die erste Welttournee der Goth Rocker REPTYLE.
Die Reise, die uns kreuz und quer durch Deutschland führen sollte, starteten wir im
unkultigen (oder gerade deswegen kultigen) rosafarbenen Kleinbus und einem PKW als
Anhang. Siebenundzwanzig Minuten später wurde die Ersatzbank im hinteren Teil des
Busses zur Getränkebank umfunktioniert. Eine spaßige Reise nahm ihren Anfang. Die
beiden Gitarristen Keule und Slash legten eine vollkommen neue Form der Kommunikation
hin (Keule: "Hast du neue Saiten aufgezogen?", Slash: "Ne, ich hatte mit 19 zum erstenmal
Sex!"). Auch wurden immer wieder neue Ankunftszeiten verkündigt, welche von 3 bis 5 Uhr
reichten. Nach einer Fahrt zwischen Witz, Keules seltsamen Vergleichen, ausufernden
Pinkelpausen und einem Besuch bei Mc Donalds erreichten wir gegen18.00 Uhr den
Veranstaltungsort in Neubrandenburg. Bereits auf der Fahrt erfuhren wir das THE HOUSE
OF USHER den heutigen Set abgesagt hatten. Das sie damit eine weise Entscheidung
getroffen haben, wurde uns später klarer.
Konzert im Club Seestraße:Als erstes betrat die lokale Band von "The counting crows" die
Bühne. Letztere war von der Länge her recht groß gehalten, verfügte aber nur über geringe
Kopffreiheit. Tcc spielten ihren Set trotz reichhaltiger technischer Probleme solide herunter.
Ihre Musik ist am ehesten im melancholischen Rock anzusiedeln. Dazu gibt es eine weiche
Frauenstimme und warme männliche Stimmbänder. Während die Band weiter versuchte mit
Dark Wavigen Soundstrukturen ein lethargisches Publikum zu dezenten Handbewegungen
zu animieren, mußte (oder durfte) Gitarrist Keule im Backstage Raum seine verlorene Wette
einlösen. Er wurde von den beiden Mädchen zurecht gemacht. Ein toupierter Zopf und von
verspielter Dunkelheit umschminktes Gesicht waren das Ergebnis. Besonders die Haarpracht
ließ Keule am anderen Morgen ein wenig verzweifeln ("kann mir mal jemand die Haare waschen?").
Nun gut. Kommen wir zum Auftritt, der besonders durch Zulus energischer Darbietung einigen
Leuten noch lange in Erinnerung bleiben wird. Dichte Nebelschwaden und ein dramatisches Intro
dienten als Einleitung von "End". Dunkle Gitarren und dichte Keyboardsounds unterstützten
Zulu bei der Verbreitung von Angst im Publikum. Nachdem die Vorband den Bewegungsradius
eines Bierdeckels besaß überraschte vor allem der REPTYLE Sänger mit seltsamen Einlagen. Er
spazierte auch mal durchs Publikum und strafte die bewegungslose Masse mit bösen Blicken.
Sein Mikrofon samt Schnur wurde auch mal als Lasso benutzt, einige Besucher hatten wohl
Angst eingefangen zu werden und versteckten sich im hinteren Teil des Ladens. Das folgende
"Just another message" (ebenfalls von der aktuellen CD "...till life do us part") überzeugte mit
seiner dunklen Atmosphäre, bevor man mit dem mystischen "The misery Game" das erste neue
Stück ins Programm einbaute. Aber egal was die Band bot, sei es energischer Goth Rock mit
Betonung auf Rock oder dunkle Epen voller tiefgreifender Melancholie, das Publikum reagierte
kaum. Selbst beim Cover von "Giving Ground", einer gitarrenlastigen, sehr gelungenen Version
des Sisterhood Stückes von '86, gab es nur verhaltenen Applaus. Vorher gab es mit dem fast
zehnminütigen "redemption street" erneut einen komplett neuen Song, der die Weiterentwicklung,
vor allem im Songwriting Bereich der Band deutlich werden ließ. Eingebettet in In- und Outro
entwickelt sich das Stück zum wahren Knaller. Verspielte bis heftige Gitarrenriffs, tiefer, dunkler
Gesang und verspielte Keyboard Einsätze erzeugen eine gefühlvolle Atmosphäre zwischen
Depression und düsterer Harmonie. Nach etwas über einer Stunde und neun Stücken und dem
unveröffentlichten Schlußsong "Descent to heaven" entschied sich Keule, der kurz vorher noch
eine ungewollte unplugged Einlage gab, die Bühne zu verlassen. Es waren genug Perle vor die
Säue geschmissen worden. Ein energiegeladener Auftritt, bei dem Zulu teilweise an Nick Cave zu
Birthday Party Zeiten erinnerte war zu Ende. Man entschloß sich dann auch die anschließende
Party zu verlassen (bei den Anwesenden wäre diese wohl nur von tiefer Langeweile geprägt) und
das kasernierte Nachtgemach im Zentrum von Neubrandenburg aufzusuchen.
Als der bzw. dem Morgen graute, schweifte unser Blick über die herrliche Landschaft Neubrandenburgs,
einladend wie ein betonierter Friedhof, nur etwas lebloser. Die Nacht war kurz und das Frühstück karg.
Für eine Rockband muß REPTYLE allerdings noch dazu lernen, denn es gab weder ausschweifende
Orgien noch belagerten willige Groupies das "Hotel" und die nächtliche Schlafstelle wurde sauberer
verlassen als man sie vorfand. Selbst die Bettwäsche wurde ordnungsgemäß abgezogen. Und dann
ging es auch schon los, erneut eine lange Reise durch den Osten der Republik stand bevor. Bis auf
die Bundesligaergebnisse, welche allein von Keule mit dezenten Jubelarien aufgenommen wurden
und das Sinnieren über den gestrigen Auftritt, gab es auch heute wieder hochtrabende Gespräche über
die ich hier den Mantel des Schweigens hänge.Der heutige Auftrittsort in Cornberg bei Kassel erwies
sich als kultige Stätte. Ein altes Kloster, dessen Konzerthalle zwischen Mystik und kirchlicher Kälte
schwebte. Nachdem uns der Abt in seiner tief ins Gesicht gezogenen Kutte empfing, begannen auch
schon die Aufbauten und der Soundcheck, bei dem Sänger Zulu wieder den Sinatra mimte und "New
York, New York" intonierte. Da bekam man schon Flugzeuge im Bauch, um mit den Worten des WTC
zu sprechen. Die mit gut vierzig Besuchern gefüllte Halle war von den unterschiedlichsten Leuten
besucht. Gothics, Metaller und eine kleine evangelische Jugendgruppe bevölkerten den Raum vor
der Bühne. REPTYLE hatten heute ihr Programm umgestellt, so eröffnete das zehnminütige
"Redemption street" das Programm. Als Opener besitzt dieser Track noch eine weitaus größere Stärke.
Dunkle Bässe, getragene Keyboards, straightes Riffing und die fast klagend erscheinenden tiefen
Vocals waren wie geschaffen als Eröffnung für diesen, im Vergleich zu gestern wesentlich ruhigeren
Set. Auch das ebenfalls neue "The Misery Game" ist von düsteren Wave Klängen beherrscht, wirkt
aber durch heftigere Saitenarbeit etwas härter. Mit "Endurance" führte man den Gothic Rock vom
Feinsten weiter. Variable Vocals zwischen sägender Rauhheit und düsterer Melancholie. Dazu ein
verspieltes Riffing und die perfekte Verbindung von Bass und Keyboard, welches vor allem im
instrumentalen Mittelteil von eleganter Harmonie geprägt war. Nach "Green Land" und "Descent to
heaven" ging man weit zurück in die Anfangszeit der Band. "Anyway grateful" von der längst
vergriffenen Debüt MCD (Neben einigen Leichen soll Keule im Keller noch ein paar Teile dieses
Meilensteins Bielefelder Rockgeschichte haben, einfach unter www.reptyle.de nachschauen) glänzte
durch seine unverbrauchte Frische. Im Gegensatz zu den neueren Stücken merkt man hier noch deutlich,
welche Band Reptyle hörbar beeinflußt haben, Fields of the Nephilim zu Zeiten von "Power". Treibender
Dark Rock mit einer Prise Punk. Den perfekten Kontrast lieferte das folgende "May the 18th", ein
gefühlsbetontes Epos tiefster Melancholie. Das druckvolle "Just another Message" und erneut
eine Reise in die Vergangenheit beendeten ein gelungenen Abend. Halt! Da war noch was. Als Zugabe
gab es noch ein Cover. Diesmal vergriff man sich an Duran Duran. "Come undone" gehört nicht gerade
zu den bekanntesten Songs der Band. REPTYLE führten dieses Lied in die dunkle, moderne Gitarrenwelt.
Während man die Keys an den 80er Wave Pop anpasste, führten die Saitenakrobaten diesen Song in
die rockige Welt der Bielefelder. Ein wirklich gelungenes Konzert, welches auch vom bestechenden
Klangerlebnis des hohen Gebäudes lebte. Und auch hinterm Mischpult war diesmal Professionalität kein
Fremdwort. Während sie in Neubrandenburg noch in heftigster Weise das Publikum mit einem Orkan von
dannen fegten, bestimmte heute eine fast mystische Atmosphäre die Szenerie. Danach betraten THE
HOUSE OF USHER die Bühne. Der Sänger erinnerte mit seinen Wickeln und Aussehen an Brandon Lee
im Film "The Crow". Und ihre Musik könnte auch als perfekter Soundtrack zu solchen Filmen dienen.
Dunkle Poesie zwischen Poe und Lovecraft, begleitet von Dark Wave Klängen und einem Bass Spiel,
welches an frühe Cure erinnert. Neben Songs aus dem Backrepertoire und neuen Liedern ihres im Frühjahr
erscheinenden Albums, kam man auch in den Genuß einer sehr gelungenen Cover Version von
"Transmission" (JoyDivision).Es war einer dieser Abende, bei denen man sich fragt, warum zu HIM
tausende pilgern und hier ganze 37 zahlende Besucher anwesend waren. Dummheit und Gehör werden
aus einem Holz geschnitzt. Die Schnitzer sind MTV, Viva und selbst ernannte Labelmanager. Danke an
die Bands, die mein Hörempfinden nicht diesen Pappnasen überlassen.
Nachdem der gestrige Tag doch mit der überraschenden Heimfahrt endete (nichts wurde es mit der
klösterlich, mystischen Feier) kam es am Abend im Bielefelder Elfenbein zum Showdown der heimischen
"Nachwuchshoffnungen". Ein Laden wie für den mittelständischen Yuppie (incl. der Getränkepreise)
gedacht, wurde heute zum Hort der dunklen Melancholie. Drei Bands hatten sich zu einem Heimspiel
eingefunden. Trotz ausreichender Werbung, Mundpropaganda und einem Eintrittspreis, deren letzte
Silbe wie ein Hohn wirkte, hatten die Bielefelder Ignoranten der guten Musik wieder besseres zu tun,
als ihren Arsch in Bewegung zu setzen. So spielte der Opener "Neon Dream" vor einem mehr als spärlich
gefüllten Laden ihre melancholischen Düster-Rock Songs. Irgendwo zwischen Him und 69 Eyes ist ihre
Musik tief verwurzelt mit ganz alten Epigonen dieses Genres. Während die Musik in getragenen
Düster-Wogen schwebte, die Gitarristen sich in Zurückhaltung übten, überzeugten vor allem die tiefen,
ein wenig wehklagenden Stimmbänder des Sängers, welche sich im 69 Eyes Cover "The Chair" zu einem
Klon eines gewissen Finnen formten. Es folgten die heimischen Gothic Metaller von "Xandria" , die ganz
und gar nicht metallastig klangen. Wesentlich ruhiger als auf ihrem aktuellen Werk ging man hier zu Werke.
Aus zwei Gründen war diese etwas getragenere Darbietung vorteilhaft. Zum einem hätte man das Publikum
mit den teilweise heftigen Riffs des aktuellen Werkes nur verstört, zum anderen kam der wundervolle
Gesang der Sängerin noch besser zur Geltung. Der Sonntagabend neigte sich in bedenklicher Form, dem
für die arbeitende Bevölkerung frustrierenden Montag zu, als Moci am Bass und Kufi am Keyboard in
verspielter Manier das Intro zum düsteren, mit mehreren Rhythmuswechseln durchzogenen "Redemption
Street" spielten. Sänger Zulu gab eine perfekte Mischung aus der in Neubrandenburg produzierten
Extrovertiertheit und zurückhaltender Melancholie. Geschickt balancierte er seine Stimme über jegliche
Abgründe der menschlichen Gefühlswelt. Erneut spielten REPTYLE eine Menge an neuen Songs,
welche sich in Form von Harmonie und Melodie auf einer vollkommen anderen Ebene befinden als
Songs wie "Just another message", welche noch eine ungeschliffene Punk Attitüde besitzen. Immer
wieder schön zu beobachten, wie es die Band schafft, den ungeschliffenen Edelstein in ein diamantenes
Gesamtprogramm zu integrieren. Denn die neuen Songs sind vollkommen ausgereifte Erzeugnisse des
melodiösem Gothic. Zulus ausdrucksstarker Gesang, Saitenspiele voller dunkler Bilder und ein Keyboard
welches immer wieder zum richtigen Zeitpunkt zwischen Unterstützung und Melodiegebung schwankt.
Als Zugabe gab es erneut das Duran Duran Cover "Come Undone". Und erneut bewies die Band, dass
man ein perfekter Vermittler zwischen Nostalgie und Moderne ist. Hiermit endete nicht nur ein Abend,
nein, auch eine Tour mit Menschen die Musik leben. Solange es Bands wie REPTYLE gibt, solange
weiß ich, Leben ist nicht langweilig.

Andreas