Interview Zillo Oktober 2003

Sex & Drugs & Goth'n'Roll!

Nach all den Hypes um Future Pop, Gothic Metal und ähnliche Musikrichtungen, welche die heutige Szene dominieren, ist es wirklich erfrischend, wieder einmal eine junge Band zu hören, die sich mit ganzem Herzen dem guten alten Gitarren-Goth britischer Prägung verschrieben hat und dabei trotzdem nicht altbacken klingt.
1999 in Paderborn gegründet, spielt das sympathische Quintett Reptyle einen nach vorne treibenden, gitarrendominierten Sound, der das Ungestüme der frühen The Mission mit dem vokalen Pathos der Sisters of Mercy und dem schweren Bombast der Fields of the Nephilim mischt, und hier und da sogar einen Hauch Inchtabokatables durchscheinen läßt. Das Ganze erinnert ein wenig an die frühen Love Like Blood, wirkt allerdings um einiges reifer, so daß ich mir durchaus vorstellen könnte, daß Reptyle deren legitime Nachfolge antreten könnten.
Der Bandname "Reptyle" wurde einerseits von der "Reptile House E.P." der oben genannten Sisters, sowie durch den gleichnamigen NIN-Song inspiriert. Er steht aber auch für die Metapher der Schlange als Verführerin und Sinnbild für Exzesse, Sex und Drogen - "eben alles, was erwachsenen Kindern Spaß macht", erklärt mir Gitarrist Slash. Im Nachtrag macht sich bemerkbar, daß die Gruppe besitzt, was leider viele Acts der Szene schmerzlich vermissen lassen: Selbstironie und Humor. Hierzu meint Sänger Zulu, daß die Gruppe ihre Musik durchaus sehr ernst nimmt, was jedoch nicht ausschließt, daß die einzelnen Mitglieder über sich selbst lachen können. Textlich dreht es sich um kleine, makabre Geschichten und Traumbilder, die Zulu in einem sehr piktoresk-metaphorischen Stil umsetzt. "...ich versuche immer, die Texte so visuell zu halten, daß jeder sich in die Bilder und Situationen hineinversetzen kann", sagt er.
Passend dazu ist die musikalische Seite sehr durcharrangiert und darauf abgestimmt, die Wortbilder in ein passendes Gewand zu kleiden. Bei der Entstehung neuer Songs geht die Band hierbei zumeist von einem bereits fertigen Grundgerüst aus, welches von einem der Mitglieder mitgebracht und dann in gemeinsamer Arbeit arrangiert wird. Man merkt den Liedern des Debütalbums auch an, daß sie nicht auf simplen Drei-Akkorde-Jams basieren, da sie durch ihre Komplexität und Dichte den Hörer in ihren Bann zu ziehen vermögen.
Live verspricht die Gruppe dann jedoch ein etwas rauheres Goth'n'Roll-Erlebnis zu werden, was man sich ob des trotz aller Komplexität doch sehr ungestüm daher kommenden Songmaterials auch sehr gut vorstellen kann. Da die einzelnen Mitglieder mit Sicherheit mitnichten so arrogant und böse sind, wie sie aussehen (...was sie jedoch augenzwinkernd behaupten), sollte man sich, sofern man auf guten, altmodischen Gothic Rock steht, sofort auf den Weg in den nächsten Club machen, wenn Reptyle dort gastieren. Es lohnt sich auch, dem Debütalbum ein Ohr zu schenken, da die Band in jeder Hinsicht ein frischer Wind für eine in letzter Zeit ziemlich vernachlässigte musikalische Spielart innerhalb der Szene ist. Das macht Spaß und sollte auch den verdienten Erfolg nach sich ziehen.

Marty Kasprzak